Schein und Sein: Selbst in modernen Autos funktioniert die Tempoanzeige nie ganz genau. Warum ist es so schwierig, die exakte Geschwindigkeit zu ermitteln?
Der Selbstbetrug 'Tempo laut Tacho' ist so alt wie das Auto selbst. Doch wie kommt es eigentlich zu den Differenzen zwischen echter Geschwindigkeit und Tachoabweichung? Zum einen durch die Messmethode. Beim Käfer wurde das Tempo noch an der Radnabe gemessen. Jede Umdrehung mechanisch über eine Welle in die Tachoanzeige übersetzt. Abweichungen sind dabei naturgemäß hoch. Bei moderneren Fahrzeugen wird deshalb die Geschwindigkeit am Getriebe gemessen. Ebenfalls über eine Welle oder elektronisch per Kabel. Damit wird die Messung zwar genauer, aber auch noch nicht exakt. Das wissen Polizei und Juristen. Deshalb verbietet die Richtlinie 77/433/EWG generell nur eine Tempo-Unterschreitung. Niemals darf der Tacho weniger anzeigen, als tatsächlich gefahren wird.
Großzügiger sieht es bei der Voreilung aus, der Tempo-Übertreibung. Ist der Wagen vor dem 1.Januar 1991 zugelassen, darf der Tacho in den beiden oberen Dritteln seiner Anzeigenskala (mindestens jedoch ab 50 km/h) bis zu sieben Prozent vom Endwert abweichen. Das bedeutet: Bei einem Tacho bis 250 km/h ist eine Abweichung von 17,5 km/h erlaubt. Noch großzügiger messen Fahrzeuge, die nach dem 1.Januar 1991 erstmals zugelassen wurden: Die maximale Abweichung beträgt zehn Prozent plus 4 km/h. Bei gefahrenen 130 km/h protzt dann das Display mit 147 Kilometern.
Ist Tempomessung eine Kunst? Oder warum hat die Ungenauigkeit System? Technisch ist das Messen kein Problem, doch Präzision ist teuer. Geräte, die zur Feststellung von Beschleunigung, Elastizität und Höchstgeschwindigkeit verwendet werden, kosten rund 15.000 Mark. Aber weder Polizei noch Hersteller oder Kunden verlangen diese Genauigkeit, allen reicht ein Toleranzwert. Doch davon gibt es reichlich. Denn auch die Getriebemessung geht von Standardwerten wie der Reifengröße aus. Ein Wechsel der Marke verändert den Abrollumfang. Zwar sind die Fertigungstoleranzen bei der Reifenproduktion gering, doch die Vorschriften erlauben eine Toleranz von plus 1,5 bis minus 2,5 Prozent. Zudem gibt es Unterschiede zwischen Sommer- und Winterreifen. Mit der Zeit nutzt sich auch das Profil ab und reduziert den Abrolldurchmesser.
Falscher Luftdruck? Noch eine Fehlerquelle, die ebenso wie eine unterschiedliche Beladung verschiedene Reifenaufstandsflächen und andere Tachowerte ergibt. Selbst die Tachoproduktion unterliegt Toleranzen (max. 1,5 %). Das alles hebt sich gegenseitig auf oder summiert sich - wie schnell wir wirklich fahren, ist anhand der Tachoanzeige nur zu schätzen.
Das tun Schnellfahrer nur zu gerne und greifen frisch ertappt zur Ausrede: 'Der Tacho spinnt.' Dieser Trick zieht nur leider nicht, denn zu langsam geht ein Tacho nie. Eher zu schnell. Nur wegen möglicher Messungenauigkeiten der Polizei werden deshalb magere drei Prozent Toleranz abgezogen. Wer vorm Tritt aufs Gaspedal wissen will, wie viel sein Tacho schummelt, kann neuere Fahrzeuge per Diagnosegerät auf Toleranzen messen lassen (ADAC und Markenwerkstatt). Von Stoppuhr und Leitpfosten im Selbstversuch ist abzuraten - denn auch dabei sind Toleranzen garantiert.