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Kracht es künftig auf deutschen Straßen, dürfen Kraftfahrer auch dann zu Kassen gebeten zu werden, wenn sie alles richtig gemacht haben. Entschuldigen können sich die Autofahrer nur noch, wenn sie sich auf „höhere Gewalt“, etwa auf einen Blitzschlag, umstürzenden Baum, ein Erdbeben oder eine Lawine als Unfallursache berufen. Doch solche Ereignisse sind in unseren Breiten mehr als selten.
Kommt ein Autofahrer nach Blitzeis von der Fahrbahn ab und schleudert in ein anderes Fahrzeug, kann sich der Fahrer künftig nicht mehr auf ein „unabwendbares Ereignis“ berufen, sondern muss aus der sogenannten Betriebsgefahr haften. Die vom Verschulden unabhängige Gefährdungshaftung kann auch gelten, wenn beide Unfallbeteiligten vollkommen gegensätzliche Aussagen zum Unfallablauf machen. Wenn beide bei „Grün“ gefahren oder „beide rübergeschleudert sind“, kann es zu einer Haftungsteilung des Gesamtschadens kommen. „Bisher haben die Richter in solchen Fällen, wenn es Verletzte gab, oft nach einem Quäntchen Verschulden gesucht, damit eine Schmerzensgeldzahlung möglich wurde,“ sagt ADAC-Jurist Paul Kuhn. Solche Klimmzüge seien der neuer Rechtslage bald nicht mehr nötig, denn jetzt gibt es das seit langem geforderte Schmerzensgeld ohne Verschulden. Dies könnte die Zahl der Mithaftungsfälle erhöhen.
Das sagen die Versicherer
Alois Schnitzer vom zweitgrößten Autoversicherer, der HUK-Coburg: „Wenn sich nach der neuen Gesetzeslage Unfallbeteiligte nur noch durch höhere Gewalt entschuldigen können, droht auch bei idealem Fahrverhalten eine Mithaftung. Dann will doch der eigentliche Unfallverursacher einen Teil des Schadens auf den anderen Beteiligten abwälzen.“ Nach bisheriger Rechtsprechung könnten das bis zu einem Drittel sein. Interessante wäre die neue Variante der Haftungsverteilung vor allem für Autofahrer ohne Vollkaskoschutz. Sie erhielten dann noch einen Teil des Schadens ersetzt. Ähnliches gilt, wenn ein Autofahrer auf einer unverschmutzten Straße einen Stein hoch schleudert und ein nachfolgendes Fahrzeug trifft. Bisher musste der Geschädigte seine Kasko einschalteten. Für den Steinschleuderer galt bisher „unabwendbare Ereignis“. Nach neuer Rechtslage muss der Verursacher den Schaden zahlen und in der Regel über die Haftpflicht abwickeln, was zu Rabattverlust führt. Das Fatale an dieser Situation: Sie ist leicht auszunutzen. Streng genommen könnte jeder behaupten, der Vorausfahrende habe ihm einen Stein in Auto geschleudert, falls er dies beweisen kann, beispielsweise mit einem Zeugen.
Das sagen die Automobilclubs
Daher sei der ADAC schon immer gegen diese Regelung gewesen. ADAC Jurist Kuhn: „Sie lässt fehlerfreien, redlichen Autofahrern, einfach keine Chance, sich der Haftung zu entziehen. Besser wäre es, wenn der neu eingeführte Begriff höhere Gewalt nur für Kinder gelten würde.“ Läuft beispielsweise ein Kind zwischen parkenden Autos auf die Straße und wird durch einen Kraftfahrer verletzt, erhält es zukünftig immer vollen Schadenersatz. Dies gilt auch dann, wenn der Autofahrer das Tempolimit beachtet und sogar eine Vollbremsung gemacht hat, um den Unfall zu vermeiden. Damit wird der Opferschutz für Schwächere gestärkt. Dies wird von Versicherern, Automobilclubs und Verkehrsanwälten begrüßt. Für andere Verkehrsteilnehmer hält Kuhn eine Änderung aber nicht für notwendig. „Die sollten sich eine Haftung anrechnen lassen, wenn sie einfach auf die Straße rennen.“ Doch Autofahrer, die künftig einen unachtsam auf die Fahrbahn laufenden Fußgänger verletzen, müssen nun voll für den Schaden einstehen.
Die Kritikpunkte
Immerhin sind bei 90 Prozent der rund vier Millionen Haftpflichtschäden zwei oder mehr Fahrzeuge beteiligt. Kommt es zu einer Mithaftung aus Betriebsgefahr, weil der Fahrer sich nicht auf die „Unabwendbarkeit“ des Unfalles berufen kann, muss er in aller Regel sowohl die Haftpflicht- also auch die Kaskoversicherung einschalten. Damit verliert er gleich zweimal einen Teil seines Schadenfreiheitsrabattes. Die Versicherer rechnen mit einer Zunahme der Prozesse, wollen aber erst einmal die Praxis abwarten. Andere Experten sehen schon heute schwarz. Der ehemalige BGH-Richter Erich Steffen befürchten, dass es zu einer beträchtlichen Ausweitung der Haftung von Autofahrern untereinander kommt. Für Autofahrer könnte das neue Gesetz daher sogar Anlass sein, sich per Verkehrsrechtsschutzversicherung gegen möglichen Streit zu wappnen. Eine unnötige Maßnahme, wenn man dem Justizministerium Glauben schenkt. Hier ist man fest davon überzeugt, dass die Haftung bei den meisten Unfällen vollkommen unverändert bleibt. Daher sei eine Änderung der umstrittenen Vorschrift nicht notwendig. Nur in ganz wenigen Fällen trage der Autofahrer mehr Haftung als vorher, so eine Sprecherin.
Stichwort: Haftung
Die Haftung aus Verschulden ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 823) geregelt. Wer einen anderen fahrlässig oder vorsätzlich schädigt, ist diesem zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Außer nach dem Verschuldensprinzip haftet ein Autofahrer auch nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 7). Dort ist die sogenannte Gefährdungshaftung geregelt. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung. Allein der Gebrauch eines gefährlichen Fahrzeuges, beispielsweise eines Motorrads oder Autos, löst die Betriebsgefahr aus.
Quelle: dpa
Kommt ein Autofahrer nach Blitzeis von der Fahrbahn ab und schleudert in ein anderes Fahrzeug, kann sich der Fahrer künftig nicht mehr auf ein „unabwendbares Ereignis“ berufen, sondern muss aus der sogenannten Betriebsgefahr haften. Die vom Verschulden unabhängige Gefährdungshaftung kann auch gelten, wenn beide Unfallbeteiligten vollkommen gegensätzliche Aussagen zum Unfallablauf machen. Wenn beide bei „Grün“ gefahren oder „beide rübergeschleudert sind“, kann es zu einer Haftungsteilung des Gesamtschadens kommen. „Bisher haben die Richter in solchen Fällen, wenn es Verletzte gab, oft nach einem Quäntchen Verschulden gesucht, damit eine Schmerzensgeldzahlung möglich wurde,“ sagt ADAC-Jurist Paul Kuhn. Solche Klimmzüge seien der neuer Rechtslage bald nicht mehr nötig, denn jetzt gibt es das seit langem geforderte Schmerzensgeld ohne Verschulden. Dies könnte die Zahl der Mithaftungsfälle erhöhen.
Das sagen die Versicherer
Alois Schnitzer vom zweitgrößten Autoversicherer, der HUK-Coburg: „Wenn sich nach der neuen Gesetzeslage Unfallbeteiligte nur noch durch höhere Gewalt entschuldigen können, droht auch bei idealem Fahrverhalten eine Mithaftung. Dann will doch der eigentliche Unfallverursacher einen Teil des Schadens auf den anderen Beteiligten abwälzen.“ Nach bisheriger Rechtsprechung könnten das bis zu einem Drittel sein. Interessante wäre die neue Variante der Haftungsverteilung vor allem für Autofahrer ohne Vollkaskoschutz. Sie erhielten dann noch einen Teil des Schadens ersetzt. Ähnliches gilt, wenn ein Autofahrer auf einer unverschmutzten Straße einen Stein hoch schleudert und ein nachfolgendes Fahrzeug trifft. Bisher musste der Geschädigte seine Kasko einschalteten. Für den Steinschleuderer galt bisher „unabwendbare Ereignis“. Nach neuer Rechtslage muss der Verursacher den Schaden zahlen und in der Regel über die Haftpflicht abwickeln, was zu Rabattverlust führt. Das Fatale an dieser Situation: Sie ist leicht auszunutzen. Streng genommen könnte jeder behaupten, der Vorausfahrende habe ihm einen Stein in Auto geschleudert, falls er dies beweisen kann, beispielsweise mit einem Zeugen.
Das sagen die Automobilclubs
Daher sei der ADAC schon immer gegen diese Regelung gewesen. ADAC Jurist Kuhn: „Sie lässt fehlerfreien, redlichen Autofahrern, einfach keine Chance, sich der Haftung zu entziehen. Besser wäre es, wenn der neu eingeführte Begriff höhere Gewalt nur für Kinder gelten würde.“ Läuft beispielsweise ein Kind zwischen parkenden Autos auf die Straße und wird durch einen Kraftfahrer verletzt, erhält es zukünftig immer vollen Schadenersatz. Dies gilt auch dann, wenn der Autofahrer das Tempolimit beachtet und sogar eine Vollbremsung gemacht hat, um den Unfall zu vermeiden. Damit wird der Opferschutz für Schwächere gestärkt. Dies wird von Versicherern, Automobilclubs und Verkehrsanwälten begrüßt. Für andere Verkehrsteilnehmer hält Kuhn eine Änderung aber nicht für notwendig. „Die sollten sich eine Haftung anrechnen lassen, wenn sie einfach auf die Straße rennen.“ Doch Autofahrer, die künftig einen unachtsam auf die Fahrbahn laufenden Fußgänger verletzen, müssen nun voll für den Schaden einstehen.
Die Kritikpunkte
Immerhin sind bei 90 Prozent der rund vier Millionen Haftpflichtschäden zwei oder mehr Fahrzeuge beteiligt. Kommt es zu einer Mithaftung aus Betriebsgefahr, weil der Fahrer sich nicht auf die „Unabwendbarkeit“ des Unfalles berufen kann, muss er in aller Regel sowohl die Haftpflicht- also auch die Kaskoversicherung einschalten. Damit verliert er gleich zweimal einen Teil seines Schadenfreiheitsrabattes. Die Versicherer rechnen mit einer Zunahme der Prozesse, wollen aber erst einmal die Praxis abwarten. Andere Experten sehen schon heute schwarz. Der ehemalige BGH-Richter Erich Steffen befürchten, dass es zu einer beträchtlichen Ausweitung der Haftung von Autofahrern untereinander kommt. Für Autofahrer könnte das neue Gesetz daher sogar Anlass sein, sich per Verkehrsrechtsschutzversicherung gegen möglichen Streit zu wappnen. Eine unnötige Maßnahme, wenn man dem Justizministerium Glauben schenkt. Hier ist man fest davon überzeugt, dass die Haftung bei den meisten Unfällen vollkommen unverändert bleibt. Daher sei eine Änderung der umstrittenen Vorschrift nicht notwendig. Nur in ganz wenigen Fällen trage der Autofahrer mehr Haftung als vorher, so eine Sprecherin.
Stichwort: Haftung
Die Haftung aus Verschulden ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 823) geregelt. Wer einen anderen fahrlässig oder vorsätzlich schädigt, ist diesem zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Außer nach dem Verschuldensprinzip haftet ein Autofahrer auch nach dem Straßenverkehrsgesetz (§ 7). Dort ist die sogenannte Gefährdungshaftung geregelt. Die Gefährdungshaftung beruht auf dem Gedanken sozialer Verantwortung. Allein der Gebrauch eines gefährlichen Fahrzeuges, beispielsweise eines Motorrads oder Autos, löst die Betriebsgefahr aus.
Quelle: dpa