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Endlich! Der Lack, den nichts mehr kratzt
Saarbrücker Chemiker haben einen Autolack entwickelt, dem selbst Stahlwolle nichts mehr anhaben kann. Schon in zwei Jahren könnten unsere Autos damit gegen Kratzer immun sein. Ein Besuch bei den Erfindern
Der Mann leidet, keine Frage. Mit einem leisen Seufzen erhebt sich Dr. Carsten Becker- Willinger (34) von seinem Stuhl und schreitet zur Tafel. Er will sich nichts anmerken lassen, der Leiter der Abteilung Neuromere am Institut für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken. Aber was ihm gerade durch den Kopf geht, erkennt man trotzdem. Es muss so etwas sein wie: "Meine Güte, so kompliziert ist das alles doch nun wirklich nicht ..."
Es erinnert mich ein bisschen an damals, beim Chemieunterricht: Vorn steht jemand, der sich auskennt, und der erzählt von Hydrolyse, von elektrosterischer Stabilisierung und von dem seit langen bekannten Sol-Gel-Prozess: "Sie wissen schon." Hinten sitzen wir, nicken zustimmend und haben nichts von dem Chemiker-Kauderwelsch verstanden. Peinlich, peinlich.
Das Wichtigste aber ist klar: Die ganzen Fachbegriffe, die gerade im Tornadotempo durch das Besprechungszimmer des INM wirbeln, haben mit einer Erfindung zu tun, von der poliergeplagte Autofahrer träumen: der Lack, den nichts mehr kratzt. Keine Fingernägel beim Türöffnen, kein Straßenstaub bei der Fahrt, keine UV-Strahlen, keine Dornenbüsche, keine Waschbürsten. Kurz gesagt: Das Zeug ist (außer bei grober Gewaltanwendung) verschleißfrei.
Das Zauberwort dabei heißt Nanopartikel. Das sind winzige Teilchen, 4000 Mal kleiner als der Durchmesser eines Haares. Diese magischen Teilchen kann man erstens chemisch herstellen und mit ihnen zweitens alle möglichen Eigenschaften in einen Werkstoff einbringen. Also zum Beispiel erreichen, dass eine Windschutzscheibe das Licht nicht mehr reflektiert und dadurch der Autofahrer nicht mehr geblendet wird. Oder dass sie nicht mehr beschlägt. Oder eben, dass Lack nicht mehr zerkratzt. Weil die harten Nanopartikel, ungefähr eine Million pro Quadratzentimeter, sich wie ein Schuppenpanzer anordnen.
So weit zur Theorie. Die Praxis spielt sich im Saarbrücker Institut ein Stockwerk weiter unten ab – und ist Geheimsache. Beim Rundgang durch die Labors passieren wir alle paar Meter eine Sicherheitstür, zu der nur eine Hand voll Mitarbeiter einen Schlüssel hat. "Wir haben viele von der Industrie finanzierte Projekte, die will die Erkenntnisse natürlich geschützt wissen", sagt Becker-Willinger.
In den Labors sieht es so aus wie im Chemieraum der Schule: surrende Apparate, Reagenzgläser, Kolben bis zum Abwinken. Nur von allem viel mehr als in der Schule und um einiges größer. Das Reaktorsystem für 30-Liter-Mengen geht zum Beispiel über zwei Stockwerke. Eine Motorhaube können die Saarbrücker Wissenschaftler von der Menge her bisher lackieren. Größere Volumen sind auch kein Problem, wenn man denn die entsprechenden Laboranlagen hat.
Das Verfahren ist erforscht, jetzt geht es um die Umsetzung. Und um das beste Angebot aus der Industrie. "Alle großen Autohersteller sind interessiert, im Sommer werden wir uns vermutlich auf einen Partner festlegen", sagt Becker-Willinger. Dann klärt sich auch die Frage, ob ein Konzern das Verfahren exklusiv bekommt oder in Zukunft alle Autos kratzresistent ausgeliefert werden. Der Miniteilchen-Lack kann praktischerweise in herkömmlichen Lackieranlagen verarbeitet werden, im Jahr 2004 könnte das erste so geschützte Auto vom Band laufen. Und der Nano-Lack ist zwar etwa ein Drittel teurer als herkömmlicher Klarlack, aber man braucht auch nur ein Viertel der Menge.
Klingt alles ein bisschen zu gut, um wahr zu sein. Denke ich jedenfalls, bis wir in den Ausstellungsraum des INM kommen. Dort drückt mir Becker-Willinger ein Stück Stahlwolle und ein Autoblech in die Hand. Rechts mit herkömmlichem Lack versehen, links mit der Saarbrücker Erfindung. Zwei Bewegungen über das Blech, dann ist der Unterschied klar: Beim normalen Lack haben sich schon jetzt feine Kratzer gebildet, die Farbe wirkt trüb und blaß. Der Nano-Lack dagegen bleibt von der Stahlwolle völlig unbeeindruckt.
Gegen mutwillige Schlüsselkratzer oder Schraubenzieher-Übeltäter freilich können auch die Saarbrücker Wissenschaftler nichts ausrichten. Die Konkurrenz aber auch nicht, die nicht auf Nanopartikel setzt, sondern auf weiche Lackschichten, bei denen Kratzer von alleine wieder zulaufen sollen. "Da gibt es kein Gegenmittel", sagt Becker-Willinger. Auch das könnte man sicherlich wunderbar mit vielen chemischen Fachbegriffen erklären. Muss ja aber nicht sein.
Artikel von Autobild.
Saarbrücker Chemiker haben einen Autolack entwickelt, dem selbst Stahlwolle nichts mehr anhaben kann. Schon in zwei Jahren könnten unsere Autos damit gegen Kratzer immun sein. Ein Besuch bei den Erfindern
Der Mann leidet, keine Frage. Mit einem leisen Seufzen erhebt sich Dr. Carsten Becker- Willinger (34) von seinem Stuhl und schreitet zur Tafel. Er will sich nichts anmerken lassen, der Leiter der Abteilung Neuromere am Institut für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken. Aber was ihm gerade durch den Kopf geht, erkennt man trotzdem. Es muss so etwas sein wie: "Meine Güte, so kompliziert ist das alles doch nun wirklich nicht ..."
Es erinnert mich ein bisschen an damals, beim Chemieunterricht: Vorn steht jemand, der sich auskennt, und der erzählt von Hydrolyse, von elektrosterischer Stabilisierung und von dem seit langen bekannten Sol-Gel-Prozess: "Sie wissen schon." Hinten sitzen wir, nicken zustimmend und haben nichts von dem Chemiker-Kauderwelsch verstanden. Peinlich, peinlich.
Das Wichtigste aber ist klar: Die ganzen Fachbegriffe, die gerade im Tornadotempo durch das Besprechungszimmer des INM wirbeln, haben mit einer Erfindung zu tun, von der poliergeplagte Autofahrer träumen: der Lack, den nichts mehr kratzt. Keine Fingernägel beim Türöffnen, kein Straßenstaub bei der Fahrt, keine UV-Strahlen, keine Dornenbüsche, keine Waschbürsten. Kurz gesagt: Das Zeug ist (außer bei grober Gewaltanwendung) verschleißfrei.
Das Zauberwort dabei heißt Nanopartikel. Das sind winzige Teilchen, 4000 Mal kleiner als der Durchmesser eines Haares. Diese magischen Teilchen kann man erstens chemisch herstellen und mit ihnen zweitens alle möglichen Eigenschaften in einen Werkstoff einbringen. Also zum Beispiel erreichen, dass eine Windschutzscheibe das Licht nicht mehr reflektiert und dadurch der Autofahrer nicht mehr geblendet wird. Oder dass sie nicht mehr beschlägt. Oder eben, dass Lack nicht mehr zerkratzt. Weil die harten Nanopartikel, ungefähr eine Million pro Quadratzentimeter, sich wie ein Schuppenpanzer anordnen.
So weit zur Theorie. Die Praxis spielt sich im Saarbrücker Institut ein Stockwerk weiter unten ab – und ist Geheimsache. Beim Rundgang durch die Labors passieren wir alle paar Meter eine Sicherheitstür, zu der nur eine Hand voll Mitarbeiter einen Schlüssel hat. "Wir haben viele von der Industrie finanzierte Projekte, die will die Erkenntnisse natürlich geschützt wissen", sagt Becker-Willinger.
In den Labors sieht es so aus wie im Chemieraum der Schule: surrende Apparate, Reagenzgläser, Kolben bis zum Abwinken. Nur von allem viel mehr als in der Schule und um einiges größer. Das Reaktorsystem für 30-Liter-Mengen geht zum Beispiel über zwei Stockwerke. Eine Motorhaube können die Saarbrücker Wissenschaftler von der Menge her bisher lackieren. Größere Volumen sind auch kein Problem, wenn man denn die entsprechenden Laboranlagen hat.
Das Verfahren ist erforscht, jetzt geht es um die Umsetzung. Und um das beste Angebot aus der Industrie. "Alle großen Autohersteller sind interessiert, im Sommer werden wir uns vermutlich auf einen Partner festlegen", sagt Becker-Willinger. Dann klärt sich auch die Frage, ob ein Konzern das Verfahren exklusiv bekommt oder in Zukunft alle Autos kratzresistent ausgeliefert werden. Der Miniteilchen-Lack kann praktischerweise in herkömmlichen Lackieranlagen verarbeitet werden, im Jahr 2004 könnte das erste so geschützte Auto vom Band laufen. Und der Nano-Lack ist zwar etwa ein Drittel teurer als herkömmlicher Klarlack, aber man braucht auch nur ein Viertel der Menge.
Klingt alles ein bisschen zu gut, um wahr zu sein. Denke ich jedenfalls, bis wir in den Ausstellungsraum des INM kommen. Dort drückt mir Becker-Willinger ein Stück Stahlwolle und ein Autoblech in die Hand. Rechts mit herkömmlichem Lack versehen, links mit der Saarbrücker Erfindung. Zwei Bewegungen über das Blech, dann ist der Unterschied klar: Beim normalen Lack haben sich schon jetzt feine Kratzer gebildet, die Farbe wirkt trüb und blaß. Der Nano-Lack dagegen bleibt von der Stahlwolle völlig unbeeindruckt.
Gegen mutwillige Schlüsselkratzer oder Schraubenzieher-Übeltäter freilich können auch die Saarbrücker Wissenschaftler nichts ausrichten. Die Konkurrenz aber auch nicht, die nicht auf Nanopartikel setzt, sondern auf weiche Lackschichten, bei denen Kratzer von alleine wieder zulaufen sollen. "Da gibt es kein Gegenmittel", sagt Becker-Willinger. Auch das könnte man sicherlich wunderbar mit vielen chemischen Fachbegriffen erklären. Muss ja aber nicht sein.
Artikel von Autobild.